Freitag, 19. Oktober 2018

In eigener Sache

 
Als ich dieses Buch veröffentlichte, überfielen mich starke Selbstzweifeln, denn ich musste schreiben, dass es ein Roman ist. Was die Personen angeht, stimmt das auch. Es gibt keinen Ed Sullivan, Akke Salander, keinen Pakistani mit Namen Salih und auch die anderen Personen existieren nicht. Bei Sheikh Turki hingegen gerate ich ins Grübeln und bei Jean Delong entdecke ich ein paar Muster aus meiner eigenen Vergangenheit. Es ist eine gefährliche Sache mit der Fantasie. Manchmal geht sie mit mir durch, und dann schreibe ich die Wahrheit.
 
Ich war viele Jahre im Nahen Osten und in Nordafrika unterwegs. In Riad, Dschidda und Yanbu habe ich Hospitäler mit Computern und Software ausgestattet, damals in Zusammenarbeit mit einem Briten aus London, den ich der Kürze halber Garry nennen möchte. Wir hatten mit der Royal Commission zu tun, ein ausschließlich aus US-Amerikanern zusammengesetztes Beratergremium des saudischen Königs. Damals wie heute wird in KSA keine Schraube bestellt und installiert, die nicht von diesem Gremium abgesegnet ist. In Dschidda lernte ich Turki kennen, der sich gerne Sheikh nennen ließ. Er führte mich in die Royal Commission ein, und ohne ihn hätte ich nichts verkauft. Turki wurde mein Sponsor, mein Kafala.
 
Turki hatte eine hübsche, lebenslustige Tochter, die sich, versteckt unter einer Decke auf dem Rücksitz meines Autos, Zugang zu einem britischen Compound mit Restaurant, Kino und Bowlingbahn verschaffte, um ein wenig Abwechslung vom strengen Leben einer Frau im Königreich Saudi Arabien zu haben. Sie hatte in London und Paris studiert und wusste, wie sich das Leben jenseits der hohen moslemischen Mauern anfühlt. Vereinfacht gesagt - ihr fiel die saudische Decke auf den Kopf. Natürlich war sie bei ihren Ausflügen unverschleiert und ihre Kleidung hatte sie in den gehobenen Modeboutiquen von Paris erstanden.
 
Sheikh Turki und seiner Frau Nour verdanke ich tiefe Einblicke in die saudische Gesellschaft, die dem normalen Geschäftsreisenden verborgen bleiben. Dafür bin ich sehr dankbar. Ohne den engen Kontakt zu Turki und seiner Familie wären meine Reisen nach Dschidda nicht so einträglich und auch weniger unterhaltsam gewesen. Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich die eine oder andere Reise nach Dschidda ohne zwingende geschäftliche Notwendigkeit unternommen habe. Es waren aufregende Urlaubsreisen. Die abendlichen Treffen zum Dinner in Turkis Haus, nicht weit vom Roten Meer, und die vielen Gespräche mit seinen saudischen Freunden und den illustren ausländischen Gästen, waren so ganz anders als das, was man sich in Deutschland unter einem Dinner vorstellt. Saudi Arabien hat zwei Seiten - das offizielle vom Koran reglementierte Leben und das inoffizielle Leben in den Familien und Clans.
Zu einem besonders tiefen Einblick in die saudische Denkweise bekam ich Gelegenheit, als ich in der Innenstadt von Dschidda ein altes Haus aus Lehmbacksteinen fotografieren wollte. Ich hatte übersehen, dass neben dem Haus mehrere tief verschleierte Frauen auf den Bus warteten. Ein neben mir stehender Saudi glaubte, ich hätte die Frauen fotografiert und rief die Polizei. Keine fünfzehn Minuten später saß ich in einem saudischen Gefängnis. Turki, mein Kafala, hat mich rausgeholt. Es war knapp. Wie knapp, wurde mir erst hinterher so richtig bewusst.
Ich gebe allerdings zu, dass auch die in Saudia lebenden Ausländer Sonderlinge waren, zumindest in der Weise, dass sie ihre Heimatländer innerlich verlassen hatten, aber in Saudia nicht angekommen waren. Sie waren - könnte man so sagen - heimatlos. Kurt war so ein Sonderling, er stammte aus Köln. Er lebte in einem Wohnwagen, den er während der Woche an der Außenmauer eines abgegrenzten Areals, Compound genannt, abgestellt hatte. Mit seinem Wohnwagen waren wir beweglich und konnten weitab der wachsamen Augen der Religionspolizei so bekleidet baden und tauchen, wie wir es für richtig hielten.
Dann war da noch Josef, Libanese mit britischem Pass, der für eine norwegische Firma Feuerlöschfahrzeuge verkaufte. Er hatte gut zu tun, denn es brennt oft in Saudia. Als einer der wenigen Ausländer hatte er seine britische Frau mitgebracht. Sie lebten in einem Compound, und er war es, der Kurts Wohnwagen mit einem Kabel über die Mauer mit Strom versorgte.
Garry lebte mit seiner Frau Ruth in Riad. Mit Garry war ich häufig in Saudia unterwegs, immer der Royal Commission auf den Fersen, oder sie uns. Garry belieferte die Hospitäler mit Computern der mittleren Datentechnik von Hewlett and Packard, ich war für die Software zuständig. Garry’s Frau Ruth war Krankenschwester am King Faisal Hospital in Riad. Ohne Ruth’s beratende Unterstützung, hätten meine Programme niemals den Weg ins Rechenzentrum der Hospitäler gefunden, denn die Geschlechtertrennung gilt auch in den Computern. Nicht auszudenken was geschehen könnte, wenn ein saudischer Mann und eine saudische Frau sich, verschlüsselt in Bits und Bytes, vielleicht sogar noch unverheiratet, in einem Computer begegneten.
Ruth hatte über die Organisation eines Krankenhauses weit hinausgehende Fähigkeiten - sie war zuständig für die private Bierbrauerei und die Destillation des Fusels. Was zur Folge hatte, dass ich meistens bei Ruth und Garry auf dem Sofa schlief, wenn ich in Riad war. Neben Antibabypillen für saudische Frauen hatte ich auch die Utensilien für Mini-Bierbrauerei im Handgepäck, wenn ich die Einreisekontrolle in Dschidda oder Riad passierte. Pulver und Pellets für das Bier in Papiertüten, die nach dem Aufdruck vormals Zucker oder Mehl enthielten, die Antibabypillen in Schachteln mit dem Aufdruck Kopfschmerztabletten oder Hustenbonbons.
Das Leben in Beirut, Amman und Damaskus war ganz anders. Damaskus war eine weltoffene Stadt. Ich habe Frauen in Röcken gesehen, die wegen ihrer Kürze auch in Düsseldorf auf der Königsallee aufgefallen wären. Beirut nannte man nicht ohne Grund Paris des Nahen Ostens. Ich will nicht behaupten, die Menschen lebten in Demokratien nach unseren Vorstellungen, aber sie lebten frei und ungezwungen, mussten sich lediglich politisch an einige Regeln halten, die auch in westlich orientierten Ländern nicht gänzlich unbekannt sind. Heute versinken diese Länder in Schutt und Asche. Ich bin überzeugt, die Menschen dort haben sich Demokratie ganz anders vorgestellt, als in Tunesien der Arabische Frühling ausbrach.
Abgesehen von solchen Erlebnissen ist das Königreich Saudi Arabien ein gespaltenes Land, und daran wird auch der junge Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud so schnell nichts ändern. Er müsste die Köpfe der Menschen reformieren und das braucht Generationen. Dagegen steht auch die Geopolitik der USA, die sich - zumindest was Saudi Arabien und einige andere arabische Staaten betrifft - nicht am Wohl der Menschen, sondern ausschließlich an eigenen Interessen orientiert. America First ist keine Erfindung des derzeitigen Präsidenten, das Paradigma galt auch für die Präsidenten vor ihm. Saudi Arabien steht auf der Beliebtheitsskala der USA mit an oberster Stelle, gleichgültig, wie Frauen behandelt werden, wie Fremdarbeiter von den Philippinen, Indien oder Bangladesch leben müssen, mit welcher Härte und wie oft die Todesstrafe vollstreckt wird.
Ein weiterer zwingender Grund für die engen Verbindungen Saudias mit den USA, dürften die engen Verflechtungen der reichen saudischen Familien und des Königshauses mit US-Firmen sein, die unter dem Strich etwa 6 bis 7 Prozent des Börsenwertes der Wall Street ausmachen sollen. Hinzu kommt etwa eine Billion US-Dollar saudisches Guthaben bei den US-Banken. Nicht auszudenken, diese Familien würden ihre Aktien abstoßen, ihre Guthaben abziehen. Eine dieser Familien ist die bin-Laden-Familie, die zweitreichste Familie des saudischen Königreiches. Wenn jetzt jemand an Al Qaida und 9/11 denkt - tut mir leid, ich habe die Fakten nicht zu verantworten. Warten wir auf die vollständige Veröffentlichung der ominösen 28 Seiten des Berichts der 9/11-Kommission. Man hört, sie stehe kurz bevor. Diese bisher immer noch geschwärzten Seiten des Berichts der unabhängigen Kommission des Kongresses beschäftigen sich weitgehend mit den Verbindungen Saudi Arabiens einerseits und den USA und der Familie Bush andererseits.
An dieser Stelle verweise ich auf den Film Fahrenheit 9/11 von Michael Moore, dem ich wertvolle Hinweise entnommen habe. Unter anderem den Wert der saudischen Investitionen in den USA, wie auch die engen Verbindungen des Bush-Clans mit KSA und der Familie bin Laden. Über drei Jahrzehnte hat nach Michael Moore die Bush-Familie etwa 1,4 Milliarden US-Dollar für Beraterverträge kassiert. Der Film ist eine Dokumentation und wenn man ihn gesehen hat, versteht man sofort, weshalb Michael Moore bei den Reichen und Mächtigen der USA so unbeliebt ist. Michael Moore weiß, wovon er redet, und aus gutem Grund hat er für einen seiner Filme einen Oscar bekommen.
Der amtierende Präsident der USA Donald Trump wie auch seine Vorgänger George W. Bush und Barack Obama machen es mir schwer, hinter den Handlungen der US-Militärs im Nahen Osten, den Bomben und False-Flag-Operationen, positive Absichten für die dort lebenden Menschen zu erkennen.

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Valencia Juli 2018