Das Schlimmste,
was einem Land widerfahren kann, ist ein Bürgerkrieg. Die Front geht quer durch
das Land, Väter schießen auf Söhne, der Bruder auf den Bruder. Ein Bürgerkrieg
endet nie.
Der spanische
Bürgerkrieg nahm seinen Anfang 1936 unter General Franco mit einer Revolte der
Truppen in Spanisch-Marokko. Die Kämpfe breiteten sich bald über das gesamte
Mutterland aus und ganze Regionen entschieden sich für die Falange oder
Republikaner. Der Osten Spaniens mit den Städten Valencia, Tarragona und
Barcelona hatte sich gegen Franco auf die Seite der Republikaner geschlagen.
Valencia war Sitz der letzten demokratisch gewählten Regierung.
Hinter den Barrikaden: Regierungsanhänger verschanzen sich im September
1936 vor den faschistischen Rebellen in Toledo.
Deutschland
unterstützte Franco mit der Legion Condor, die überwiegend Luftwaffeneinheiten
stellte. Die deutschen Soldaten trugen keine Uniformen und ihre Existenz auf
spanischem Boden wurde bis zum Ende des Krieges 1939 von deutscher Seite
bestritten. Italienische Truppen kämpften ebenfalls auf Seiten der Falange. Die
Sowjetunion kämpfte auf der Seite der Republikaner und unterstütze sie mit
schweren Waffen, Panzern, Geschützen und rund 2000 Soldaten. Dazu kamen die
internationalen Brigaden auf der Seite der Republikaner. Ernest Hemingway hat
die Kämpfe in seinen autobiografisch gefärbten Romanen eindrucksvoll
beschrieben.Als sich der Sieg Francos abzeichnete, evakuierten viele spanische
Familien ihre Kinder aus Angst vor der Rache der Sieger. In den Zeiten des gemeinsamen
Kampfes hatten sich persönliche Bindungen zwischen Russen und Spaniern
entwickelt, und von etwa 34.000 Kindern kamen 3.500 in die Sowjetunion.
Die
nach Frankreich, Schweden oder Dänemark evakuierten Kinder, kehrten bald nach
dem Krieg wieder in ihre Heimat zurück. Viele gelangten in die spanisch
sprechenden Länder Mittel- und Südamerikas und fanden dort eine neue Heimat.
Auch bei den Kindern in der UdSSR ging man von einer zeitlich begrenzten
Trennung aus. Es sollte eine sehr lange Trennung werden und für viele wurde es
eine Reise ohne Wiederkehr.
Mit
dem Ende des Bürgerkrieges nahmen die Faschisten grausame Rache und das ist mit
ein Grund, weshalb der Krieg in den Köpfen auch heute, im Jahr 2015, noch nicht
zu Ende ist. Die genaue Zahl der Ermordeten ist umstritten. Schätzungen
besagen, dass etwa hunderttausend Menschen nach Kriegsende umgebracht wurden.
Teilweise waren es improvisierte Kriegsgerichte, die für Legitimation sorgen
sollten. Zum großen Teil wurden die Menschen auf offener Straße erschossen. Oft
reichte eine Anzeige des Nachbarn und viele Immobilien haben auf diese Weise
den Besitzer gewechselt.
In
Spanien hatte man die Kinder nicht vergessen. Aber mit Ende des zweiten
Weltkrieges begann der Kalte Krieg und humanitäre Vereinigungen hatten kaum
Möglichkeiten, sich um die Kinder in der UdSSR zu kümmern. Aus damaliger Sicht
hatte man Wichtigeres zu tun und Franco, unangefochtener Diktator Spaniens,
hatte kein Interesse an den Nachkommen seiner ehemaligen Gegner.
Ich lernte Elena (Name geändert) vor einigen Jahren hier in Valencia kennen, sie hatte gerade ihren 79. Geburtstag gefeiert.
Elena
wurde 1934 in Valencia geboren und war viereinhalb Jahre alt, als sie kurz vor
Kriegsende mit ihrer Schwester Conchita Spanien per Schiff über Genua verließ
und nach Leningrad gelangte. Elena lernte Russisch, ging in Leningrad zur
Schule, trug das rote Pionierhalstuch und wurde mit vierzehn Komsomol. Sie
verliebte sich in einen jungen Russen, heiratete und bekam drei Kinder. Ihr
Leben plätscherte so dahin, ein karges, russisches Leben. Erst zur Zeit
Breschnjevs besserte sich die Versorgungslage in der Sowjetunion und auch Elena
und ihrer Familie ging es besser.
Elena
hatte ihre spanischen Wurzeln nie vergessen und 1992 übersiedelte sie mit ihrem
Mann und zwei Töchtern nach Valencia, ihre alte Heimat. Ihr Sohn, inzwischen
mit einer Russin verheiratet, ist in Moskau geblieben.
Die
jahrelange Präsenz russischer Soldaten hat Spuren hinterlassen – man hat gute
Erinnerungen an die Russen. In der Provinz Valencia leben heute etwa
fünfunddreißigtausend Russen. Größtenteils sind sie legal eingewandert. Nicht
wenige kamen in den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Touristen
ins Land, haben Spanisch gelernt und sind geblieben. Die Behörden tolerieren
sie, und nach drei bis vier Jahren erhalten sie problemlos eine Tarjeta
Residencia. Die Stadtverwaltung bietet ihnen kostenlose Sprachkurse und
Russisch sprechende Rechtsanwälte unterstützen auch die Illegalen.
Heute
findet ein Exodus in entgegengesetzter Richtung statt. Die Kinderheime in
Russland, Kasachstan und der Ukraine sind überfüllt, und viele spanische
Ehepaare haben Kinder aus diesen Ländern adoptiert. Die spanischen
Adoptiveltern legen großen Wert darauf, dass ihre Kinder die Bindung an ihre
Heimat nicht verlieren. Zumeist sind sie im Alter von drei bis sechs Jahren
nach Spanien gelangt und oft sprechen sie nur wenig Russisch. In Valencia gibt
es den Club Volga. Zu den orthodoxen Feiertagen wird nach den Bräuchen der
alten Heimat gefeiert. Der Club bietet Sprachkurse für russische Kinder, sie
sollen ihre Muttersprache nicht vergessen.
Auf
der Weihnachtsfeier Ende 2010 im Club Volga habe ich zum ersten Mal Katja
getroffen. Katja war Weihnachten vier Jahre alt, gerade in dem Alter, in dem
Elena vor über siebzig Jahren nach Leningrad kam. Sie kommt aus einem
Kinderheim in Kasachstan und lernt im Club Volga Russisch, aber das macht ihr
im Moment noch nicht so richtig Spaß. Jetzt besucht auch ihre Adoptivmutter
einen russischen Sprachkurs und vielleicht können sich Mutter und Tochter bald
auf Russisch unterhalten.
Elena
hat ihre Mutter nie wiedergesehen. Sie hat mich gebeten, ihre Geschichte zu
erzählen. Es ist kein leichtes Thema, aber ich werde es aufschreiben. An vielen
Stellen muss ich zum Schutz einiger Beteiligter Fantasie walten lassen, denn
die Wahrheit ist ein empfindliches Pflänzchen.
Valencia, Weihnachten 2011
und
Folklorefestival
in Valencia auf der Plaza de la Virgen
Weihnachten 2010 im Club Volga Russische Kinder,
die von spanischen
Eltern adoptiert wurden
Meine
Frau Galina ist gebürtige Russin
aus Perm am Ural. Hier ist sie mit Katja abgebildet
Elena, kurz bevor sie in die
Sowjetunion evakuiert wurde